„Therapie der Myositis – aktueller Standard und neue Ansätze“

Dr. Per-Ole Carstens, Neurologe an den Elbe-Kliniken in Stade, erläuterte in seinem großartigen Vortrag Einzelheiten zu „Etablierten medikamentösen Therapien“, „Nicht-medikamentösen Therapien“ und „Therapiestudien und zukünftige Therapien“. Dabei ging er auf Therapiestandards ein, die innerhalb des Myositis Netz von dessen Mitgliedern festgelegt wurden.

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Dr. Carstens berichtete dabei ausführlich über die Basistherapie, Akuttherapie, alternative Therapie und die Eskalationstherapie.

Bei der Basistherapie finden Substanzen wie: Kortikosteroide, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Methotrexat, Rituximab und Tacrolimus Verwendung. Bei der Akuttherapie kommt Prednisolon (Kortison) zum Einsatz, da es schnell wirkt und einen guten immunsuppressiven Effekt hat. Prednisolon ist ein körpereigenes Stresshormon und wird in der Nebenniere gebildet. Die langfristige Einnahme von Prednisolon kann zu vielen Nebenwirkungen wie Magengeschwüren, Muskelschwund, Osteoporose etc. führen. Die Dosierung sollte 1 mg pro kg Körpergewicht bis zur klinischen Besserung betragen. Die Cushing-Schwelle definiert als die Dosis, bei der mit relevanten Nebenwirkungen gerechnet werden muss. liegt bei einer Dosis von 7,5 mg. Deshalb ist die Einnahme von Vitamin D und die Kontrolle von Blutdruck und Blutzucker unbedingt erforderlich. Zur Vermeidung der Nebenwirkungen sollte die Therapie möglichst kurz und mit möglichst geringer Dosierung erfolgen. Um das Prednisolon reduzieren oder absetzen zu können, sollten frühzeitig andere immunsuppressive Medikamente (s. Basistherapie) zur Therapie herangezogen werden.

Azathioprin wirkt, indem es die Synthese von DNA und RNA blockiert und die Vermehrung von T- und B-Zellen hemmt. Die Wirkung tritt u.U. erst nach 3-6 Monaten ein und die Dosis sollte mit bis zu 3mg pro KG Körpergewicht berechnet werden. An Nebenwirkungen können Blutbildveränderungen, Übelkeit, Entzündung der Bauchspeicheldrüse und Anstieg der Leberwerte auftreten. Auch das Risiko für gut-/bösartige Tumoren kann erhöht sein. Regelmäßige Laboruntersuchungen sind wichtig, denn zur Therapiekontrolle kann die Lymphozytenzahl bestimmt werden, wobei der Zielbereich zwischen 600-1000/µl liegt. Zusätzlich können Nebenwirkungen so zeitnah erkannt werden. Bei der Einnahme von Azathioprin ist es wichtig auf ausreichenden Sonnenschutz zu achten.

Mycophenolatmofetil (CellCept©) wirkt, indem es die Synthese von Guanosin blockiert und die Vermehrung von T- und B-Zellen hemmt. Auch hier kann die Wirkung erst nach 3-6 Monaten verzögert auftreten. Die Dosis sollte 1000-3000 mg/Tag betragen. An Nebenwirkungen können ebenfalls Blutbildveränderungen, Übelkeit, Durchfall, Anstieg der Leberwerte und ein erhöhtes Risiko für gut-/bösartige Tumoren auftreten. Regelmäßige Laboruntersuchungen sind hier wichtig, denn zur Therapiekontrolle kann die Lymphozytenzahl bestimmt werden, wobei der Zielbereich zwischen 600-1000/µl liegt. Zusätzlich können Nebenwirkungen so zeitnah erkannt werden. Auch hier ist auf ausreichenden Sonnenschutz achten und das Medikament sollte währende einer Schwangerschaft und Stillzeit abgesetzt werden, da es zu Fehlbildungen kommen kann!

Methotrexat wirkt, in dem es die Synthese von Folsäure und damit auch der DNA blockiert und die Vermehrung von T- und B-Zellen (Dihydrofolsäure-Reduktase) hemmt. Die Wirkung tritt nur leicht verzögert nach 3-6 Wochen auf. Die Dosis sollte 7,5-25 mg/einmal pro Woche betragen. Über 15 mg ist es anzuraten, das Medikament subkutan zu verabreichen. Am Folgetag muss unbedingt eine Einnahme von Folsäure erfolgen. An Nebenwirkungen können Blutbildveränderungen, Übelkeit, Anstieg der Leberwerte und Nierenfunktionsstörungen auftreten. Regelmäßige Laboruntersuchungen sind wichtig, um Nebenwirkungen zu erkennen.

Intravenöse Immunglobuline (IVIG) werden bei einigen Patienten als Therapiealternative eingesetzt. Die Dosis beträgt 1-2 g/kg Körpergewicht und die Immunglobuline werden alle 4-6 Wochen intravenös im Krankenhaus/Infusionsambulanz verabreicht. An Nebenwirkungen können allergische Reaktionen, v.a. an der Haut, Kopfschmerzen, Thrombosen, Blutbildveränderungen, Übertragung von Viruserkrankungen, und Schädigung der Niere auftreten. Deshalb sollten Laboruntersuchungen erfolgen. Immunglobuline werden aus Blutspenden gewonnen und die Ressourcen sind knapp.

Subkutane Immunglobuline werden ebenfalls als Therapiealternative eingesetzt. Die Dosis beträgt 1-2 g/kg Körpergewicht pro Monat. Die Gabe erfolgt mittels Pumpe ins Unterhautfettgewebe an 2-3 Tagen pro Woche. Hier können an Nebenwirkungen allergische Reaktionen, v.a. an der Haut, Kopfschmerzen, Thrombosen, Blutbildveränderungen, Übertragung von Viruserkrankungen und lokale Gewebereaktion auftreten. Die subkutane Methode hat die Vorteile, dass die Therapie zu Hause durchgeführt werden kann, der Wirkspiegel gleichmäßiger ist und die Häufigkeit von Nebenwirkungen  reduziert wird.

Rituximab wird als Eskalationstherapie eingesetzt. Es zerstört in seiner Wirkung die B-Zellen und wird ca. alle 6 Monate intravenös in Höhe von 1000mg verabreicht. Folgende Nebenwirkungen können auftreten: kurzfristig Transfusionsreaktion mit Hautauschlag, Juck­reiz, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, leichter Blutdruckanstieg. Langfristig kann es zu Blutbildveränderungen, erhöhtem Infektionsrisiko, und dem Risiko für eine progressive multifokale Leukodystrophie kommen. Regelmäßige Laboruntersuchungen sind wichtig, um das Wiederauftreten der B-Zellen rechtzeitig festzustellen, denn danach richtet sich die Planung der Therapieabstände.

Cyclosporin/Tacrolimus wird als Zweitlinientherapie eingesetzt. Es hemmt die Produktion von Interleukin 2 und damit die Bildung von T-/B-Zellen. Die Dosis sollte bei Cyclosporin 2,5-5 mg/kg und bei Tacrolimus 0,1-0,2 mg/kg betragen. An Nebenwirkungen können Bluthochdruck und Nierenschädigungen auftreten. Regelmäßige Laboruntersuchungen und Blutdruckmessungen sind wichtig.

Dermatomyositis, Polymyositis, nekrotisierende Myopathie und Overlap-Myositis können mit diesen Medikamenten in der Regel behandelt werden. Jedoch gibt es auch Besonderheiten: a) Die Nekrotisierende Myopathie geht häufig mit schlechtem Ansprechen einher und eine frühe Eskalation auf Rituximab wird notwendig. b) Bei Hautsymptomen werden zusätzlich Kortikosteroide lokal auf der Haut angewendet. c) Liegt eine Beteiligung anderer Organe, v.a. der Lunge (interstitielle Lungererkrankung vor), ist eine aggressive Behandlung mit Kombination aus Prednisolon + Azathioprin + Rituximab/Cyclosporin erforderlich.

Die Einschlusskörpermyositis kann versuchsweise mit Immunglobulinen behandelt werden. Initial mit 2g/kg, danach 1-2g/kg, verteilt über 2-5 Tage alle 6 bis 8 Wochen für mind. 6 Monate. Bei Stabilisierung erfolgt eine Reduktion auf die niedrigste-mögliche Erhaltungsdosis (z.B. 30g Gesamtdosis alle 8 Wochen) Bei einer typischen IBM finden Immunsuppressiva KEINE Verwendung.

Therapiedeeskalation/-pausen sind nach längeren Phasen der Stabilität (Monate bis Jahre) möglich. Eine gute Dokumentation des Ausgangszustands ist dabei sehr wichtig, regelmäßige Kontrolluntersuchungen müssen eingeplant werden und der Patient muss gut aufgeklärt sein. Die Reduktion der Dosis sollte langsam erfolgen. Das Risiko einer Verschlechterung, die möglicherweise auch nach Wiederaufnahme der Therapie bestehen bleiben kann, ist gegeben. Bei der IBM Therapie mit Immunglobulinen sind Therapiepausen wichtig, um einen positiven Therapieeffekt belegen zu können.

Den zweiten Teil seines Vortrags widmete Dr. Carstens dem Thema Impfungen. Grundsätzlich sind Impfungen für chronisch kranke Personen vorteilhaft. Einzelne Impfungen sind vor Beginn einer dauerhaften Immunsuppression sinnvoll (Auffrischung/neue Impfung). Allerdings gibt es Besonderheiten zu beachten. Patienten mit einer schweren Immunsuppression sollen nicht mit Lebendimpfstoffen immunisiert werden. Bei schwacher Immunsuppression (z. B. Prednisolon) ist eine Immunisierung möglich (Bundesgesundheitsbl 2019: Impfen bei Immundefizienz). Die Immunisierung mit Totimpfstoffen ist hingegen jederzeit möglich. Zu berücksichtigen ist, dass die Bildung von Antikörpern auf Impfstoffe abgeschwächt sein kann. Die STIKO (Ständige Impfkommission) empfiehlt folgende Standardimpfungen bzw. Auffrischimpfungen für Erwachsene: Diphterie, Influenza, Keuchhusten, Pneumokokken, Poliomyelitis, Tetanus, Masern und Herpes Zoster. Folgende Impfstoffe gelten als Indikationsstoffe bei geplanter oder bestehender Immunsuppression oder Immundefizienz: Hepatitis B, Influenza, Meningokokken, Pneumokokken, Varizellen und Herpes Zoster. Masern und Varizellen sind Lebendimpfstoffe. Es ist aber zu sagen, dass praktisch alle wichtigen Impfungen auch unter Immunsuppression ohne ein erhöhtes Risiko möglich sind.

Im Weiteren Verlauf nimmt Dr. Carstens sich dem Thema Physiotherapie an. Diese ist wesentlicher Therapiebestandteil bei jeglicher Form der Myositis. Physiotherapie sollte regelmäßig, in ausreichender Frequenz (mind. 2x/Woche) und dauerhaft erfolgen, Muskelkater sollte aber unbedingt vermieden werden. Die Suche eines geeigneten Therapeuten kann schwierig sein.

Informationen und Empfehlungen inkl. Trainingsanleitung (in Bildern, Text und YouTube Video) sind auch auf der Internetseite der amerikanischen Patientenorganisation zu finden:

Link -> Trainingsprogramme für Myositis – u.a. von Dr. Helene Alexanderson

Dr. Helene Alexanderson aus Stockholm hat Klinische Forschung zu Physiotherapie anhand von Trainingsprogrammen für DM, PM und IBM durchgeführt. Bei der DM und PM wurde registriert, dass die Übungen sicher waren und von den Patienten gut toleriert wurden. Es wurde kein Anstieg des CK-Werts und keine Zunahme der Entzündung festgestellt, aber eine Verbesserung von Muskelfunktion und Lebensqualität trat ein.

Bei der IBM hat sich die Muskelkraft inkl. Quadriceps und Fingerbeuger verbessert und bei der Gehfähigkeit auf flacher Ebene und dem Treppensteigen konnte eine Besserung bemerkt werden.

Bei einigen Myositis-Patienten ist Ergotherapie sinnvoll. Sie dient der Behandlung von Störungen der Grob- und Feinmotorik, der Verbesserung von Gleichgewichtsempfindungen und der Gleichgewichtsreaktionen, dem Erlernen von Ersatzfunktionen, dem Training von Alltagsaktivitäten im Hinblick auf die persönliche, häusliche und berufliche Selbständigkeit. Ergotherapeuten beraten bezüglich geeigneter Hilfsmittel und Änderungen im häuslichen und beruflichen Umfeld. Eventuell ist eine Anpassung von Hilfsmitteln notwendig. Es gibt jedoch keine klinischen Studien zur Myositis und Ergotherapie.

Zum Thema Schluckstörungen und Logopädie gibt Dr. Carstens wichtige Tipps, worauf bei der Nahrungsaufnahme zu achten ist: Nehmen Sie sich viel Zeit und Ruhe für die Nahrungsaufnahme

  • Die richtige Sitzhaltung ist eine sehr wichtige Hilfe beim Schlucken
  • Keine ablenkenden Reize (z.B. Fernseher, Gespräche)
  • Kleine Bissen/ Schlucke nehmen, langsam essen und gründlich kauen
  • Nachschlucken, bis der Mund- und Rachenraum frei sind. Eventuell kurz räuspern und nachschlucken
  • Nach dem Essen Mundpflege, damit keine Essensreste mehr im Mund sind
  • Mahlzeiten mit einem großen Schluck Wasser abschließen
  • Möglichst noch eine halbe Stunde sitzen bleiben bzw. den Oberkörper aufrecht halten
  • Bei Verschlucken: abhusten lassen, Oberkörper und Kopf nach vorne beugen. NICHT auf den Rücken klopfen!

Mit der Logopädin können verschieden Manöver wie das Masako-Manövers, das Shaker-Manöver und das Mendelsohn Manöver erlernt werden, um gezielt die am Schlucken beteiligten Muskeln zu fördern. Beim Vorliegen einer Dysphagie bei IBM Patienten können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen:

  • Ballondilatation
  • Myotomie (nicht rückgängig zu machen)
  • Botolinutoxin-Injektion

Bei schweren Schluckstörungen ist der Einsatz einer Magensonde (PEG) sinnvoll.

An zusätzlichen nicht-medikamentösen Therapien sollten Rehamaßnahmen vor allem bei chronischen Verläufen und bei jüngeren und schwerer betroffenen Patienten möglichst oft durchgeführt werden.

Wichtig für alle Betroffenen mit einer Myositis ist der Verzicht auf das Rauchen. Auch passiv, da das Rauchen eine chronische Entzündung unterhält.

Abschließend ging Dr. Carstens auf Therapiestudien und zukünftige Therapien ein. International und national finden aktuell sieben Studien zur DM/PM (drei nur DM) statt. Diese befinden sich überwiegend in Phase 2 und 3. Zur NM findet eine Studie statt und eine weitere Studie ist geplant. Zum Anti-Synthetase-Syndrom ist eine Studie in Planung. Zur IBM laufen zwei Studien.

Grundsätzlich zielen die Therapiestudien zur DM darauf ab, gezielter in den Krankheitsprozess als bisher einzugreifen (z.B. Antikörper gegen Interleukin, Komplementfaktoren, Modulation der direkten Zellinteraktion).

Bei der IBM haben die Therapiestudien bisher nur Einzelsubstanzen umfasst. Jedoch sind der Krankheitsprozesse bei der IBM sehr komplex und umfassen die Entzündung, die Ablagerung von veränderten Proteinen sowie eine Störung in deren Abbau und eine Störung  der Muskelregeneration. Hier sollten Ansätze zur Kombination verschiedener Medikamente erwogen werden, die alle genannten Bereiche Einfluss haben. Eine etablierte Therapie für die IBM ist bisher leider nicht abzusehen.

Bericht: Silke Schlüter